Freitag, 15. Juli 2016

Leben im Einklang mit der Natur? Realistisch im Jahr 2016

Heute habe ich mich mit meiner Mutter über die Frage unterhalten, ob man sich heutzutage noch ein Leben im Einklang mit der Natur vorstellen kann. Das hat mich den ganzen Nachmittag beschäftigt, das Thema ist scheinbar unerschöpflich. Ich versuche das mal überschaubar und auf Lebensmittel (ohne Fleisch und Fisch) zusammenzufassen.

Leben im Einklang mit der Natur - ich stelle mir dabei vor, wie meine Großmutter wohl 1955 gelebt hat. Damals war meine Mutter 5 Jahre alt und ich kenne natürlich die Geschichten von früher. Was aber würde ich heute in der Küche stehen haben, würden wir das Jahr 1955 schreiben? Und was habe ich heute in meinem Kühlschrank?

2016: In unserem 4-Personen-Haushalt stehen in der Küche ein paar Lebensmittel, die grundsätzlich aus dem Schema herausfallen. Bananen gehen nie, denn sie kommen aus Übersee, genau wie Kiwi, Kakao, Kaffee, Zimt, Kurkuma, Nüsse, diverse alltägliche Nahrungsmittel und mehr oder weniger exotische Teesorten (Zitronenverbene aus Italien, griechischer Bergtee und grünen Tee gab es damals bei Oma sicher nicht). Auch die näherliegenden Anbaugebiete fallen durch das Raster - italienisches, niederländisches oder spanisches Obst und Gemüse, auch die irische Butter oder die Müslizutaten, die aus diversen EU-Ländern zusammengesetzt sind, wie mir die Verpackung diffus vermittelt. Auf diese Dinge konnte man 1955 verzichten bzw. durch regionale Produkte ersetzen - Margarine, heimische Nüsse aus dem Garten, Tee aus Pfefferminze und Co.

Bei manchen Produkten dagegen fällt es mir leicht, regional und den Jahreszeiten entsprechend einzukaufen. Honig vom Imker aus dem Nachbarort ist haltbar und damit das ganze Jahr verfügbar, genauso die Eier von der Bäuerin auf dem Markt mit den "glücklichen Hühnern". Und je nach Saison das Obst und Gemüse der jeweiligen Zeit. Milchprodukte sind schon schwieriger. Hier ist ein Weinbaugebiet, Milchkühe sind so gut wie nicht zu finden (dabei fällt mir ein, ich könnte mal wieder Joghurt selbst machen).

Manche Produkte mache ich haltbar - Erdbeermarmelade koche ich im Juni immer mehrere Male, damit unser Vorrat für das folgende Jahr gesichert ist. Ebenso werden Johannisbeeren, Rhabarber und diverses Gemüse eingefroren zum späteren Verzehr, wenn es eben nicht frisch erhältlich ist. Wenn es der eigene Garten hergibt, essen wir selbstgezogene Tomaten, Bohnen oder Beeren. Und ich lasse immer öfter Backwaren im Laden liegen, wenn ich die Inhaltsstoffe lese, da wird lieber selbst gebacken. Aber ist das im Einklang? Ich weiß nicht, woher das Mehl stammt, nur die Mühle steht auf der Packung. Getreide selbst anbauen geht eindeutig zu weit!

Ohne die nötige Fläche, die Zeit und das Wissen scheitern sicher schon viele an den Grundlagen. Und selbst wenn man Platz und gärtnerisches Können an den Tag legt - wenn die Natur nicht "im Einklang" ist, kann es eine ziemlich traurige Ernte werden. Letztes Jahr konnten wir uns Ende Juni vor lauter Kirschen am Baum kaum retten, dieses Jahr war während der Blütezeit eine starke Kälte- und Regenperiode, die unsere Kirschernte sprichwörtlich ins Wasser fallen ließ.

Könntet Ihr Euch vorstellen, wieder ausschließlich mit saisonalen und regionalen Produkten zu leben? Jetzt im Juli fällt mir das überhaupt nicht schwer, was die Obst- und Gemüseauswahl betrifft. Aber auch, wenn ich im Winter auf importierte Erdbeeren, Spargel und Tomaten verzichten kann - ich bin dennoch froh, dass es rund ums Jahr Kartoffeln, Karotten und Äpfel zu kaufen gibt. Diese sind weit entfernt von "frisch". Sie werden in dunklen gekühlten Hallen über Monate eingelagert, auch die Tiefkühl-Gemüsemischung ist nicht gerade "im Einklang". Und Omas Kaffee war auch 1990 noch äußerst dünn, da bin ich froh um meinen Espresso.

Dennoch - hat man sich früher nur mit Kellerkartoffeln, Sauerkraut und Kohl gesund und ausgewogen durch die kalten Wintermonate bringen können? Waren die Möglichkeiten damals "schlechter", weil man nicht die Kühlmöglichkeiten oder Transportwege hatte wie heute? Ich glaube, dass es möglich ist, wieder auf diese Art zu leben. Aber der Aufwand ist doch beträchtlich - und im Grunde nicht konsequent umsetzbar.

Ich gehe jetzt in meinen kleinen Garten und pflücke unseren Nachtisch - ich habe vorhin ein paar reife Brombeeren entdeckt!